© Copyright 2018 Dieter Süverkrüp
In dieser geheimen Tuchfabrik soll Minotauros
gestorben sein
Aquarell, 50x64
Genau weiß Frau Schippenknott das allerdings auch nicht
mehr. Sie war bis zu ihrer Pensionierung vor über zwanzig
Jahren Bezirksleiterin der Aufsichtsbehörde des
Kämpfenberger Landes. Versonnen blickt sie hinauf zum
Horizont und sagt: Da oben rechts hinter den Pappeln,
meine ich, hab ich ihn ein einziges Mal gesehen. Ein
kräftiger Mann, etwas gebeugt, unterm Arm trug er einen
großenStierkopf. Den soll er immer schnell aufgesetzt
haben, wenn er sich verstecken mußte. Dann hängte
er den braunen Fellmantel über seinen Rücken, ging auf
allen Vieren, und jeder dachte, er gehört zur Landschaft. So
sagte man jedenfalls. Ach, das ist alles so lange her.
Der Besuch vom Lande
Aquarell, 32x25
Das ist eine Geschichte aus altem Familienbesitz. Nur
Tante Else Büttschenholz kennt sie genau. Und sie kann sie
deswegen so genau erzählen. Aber so genau kann
niemand zuhören. Und wäre nicht einst Karlheinz gewesen,
ihr verstorbener Mann, dann wüßte kein Mensch aus der
ganzen Familie, was in dieser Geschichte überhaupt
vorkommt. Doch Karlheinz Büttschenholz war schließlich
mit seiner Frau verheiratet und hatte gelernt zuzuhören.
Also, das war so. Vor ein paar hundert Jahren gab es in
Flandern, wo Tante Elses Familie eigentlich herkommt, ein
junges wunderschönes Mädchen. Das wurde eines Tages
von seinen Eltern in die Stadt geschickt, denn dort wohnte
ein reicher Onkel, der das Mädchen bei sich aufnehmen
sollte. Damit der Onkel es auch erkennen konnte, bekam
das Mädchen eine Blume mit. Aber vor des
Onkels Hause lauerten arglistige Gesellen dem armen
Dinge auf, und es ward nie mehr gesehn. Nur die Blume
stand lange vor dem Hause, bis der Onkel sich ihrer
erbarmte. So ward wenigstens sie gerettet. Und das
brachte nach langer Zeit Tante Büttschenholz auf den
guten Gedanken, man solle sich vor größeren Reisen zur
Sicherheit tarnen, als Blume, als Gemüse oder als Baum.
Hier sieht man wieder 1 und 2
1: Farbstifte/Papier, 32 x24 2: Ölfarbe/Papier, 40 x 30
wie sehr die Frisur einen Menschen verändert! Das wird noch
um so deutlicher, wenn es sich, wie in diesem Falle, um zwei
ganz unterschiedliche Menschen handelt.
Im Kleinen Tapetentheater läuft ein kubistisches
Dreieckstück
Öl/Leinwand/Malplatte, 50 x 70
Personen:
Mann (groß), Frau (kleiner),
Kommissar (noch kleiner)
Mann, zischelnd:
Deinetwegen habe ich den Mord
begangen.
Frau, beruhigt ihn:
Die Milz war doch nur geliehen!
Mann, empört:
Aber deinetwegen war Vollmond.
Frau, nervös:
Nimm die verdammte Flosse da
weg.
Das Ding gehört zur
Rahmenhandlung.
Mann, gehässig:
Aber duu … mit deinen
Pfefferminzfüßen …
Frau, schnippisch:
Die kühlen den Horizont.
(Der Aufzug hält.)
Oho, der Herr Kommissar.
Kommissar, stöhnend:
Bis zum Hals stecke ich in einer
Metamorphose.
Frau, teilnahmsvoll:
So was wie Metadon?
Kommissar, zerstreut:
Bloße Tarnung: Ich werde ein
Musikinstrument.
Frau, unsicher:
Sobald Sie damit fertig sind,
sehn Sie mal den gelben Fleck
hier unten.
Wenn man drauf drückt, wackelt
nicht mal die Lampe.
Könnte das ein Indiz sein?
Kommissar, ernst:
Vielleicht sogar ein Beweis!
Vorzüglich!
Dann machen wir jetzt erst
einmal Werbung,
Mann, ungehalten:
Und du erhebst dich inzwischen
von deinem fetten Kubus!
Diese Frage wird immer wieder diskutiert:
Öl/Leinwand, 49 x 49
Soll ein Krug denn nur erst zu Wasser gehn, oder lieber gleich
zu Bruch?
Die Erschaffung der Welt
Öl/Leinwand, 100x 70
Es kann auch völlig anders gewesen sein. Hier nur ein
Ausschnitt. Außerdem ist sie noch gar nicht fertig, wie man
weiß. Sie können sich also durchaus beteiligen an der
Welterschaffung. Ein wichtiges Mittel dazu ist die Sprache.
Kreuzen Sie Wörter mit Wörtern, auf daß diese sich
fortpflanzen. Kreuzwörter können entstehen, mehrfach
verkantete Metaphern. Oder einfach nur Begriffe, die
esbisher so nicht gab.
Sie sehen hier beispielsweise einen Hinterelch, Sie sehen
Mannesflügel, eine ironische Kuh, eine fingierte Ente. Was
sehen Sie noch? Sprechen Sie es aus. So schaffen Sie
vielleicht Ersatz für dievielen schon ausgestorbenen Arten.
Wichtig bei der Welterschaffung sind auch die Geschichten,
die sich in dieser Welt abspielen können. Geschichten
erklären Zusammenhänge. Wie könnten die Zusam-
menhänge in diesem Welt-Bild sein? Vielleicht war da ein
christdemokratischer Kaufmann. Er konnte durch einen
Zufall Teileder Insektensammlung des Ernst Jünger
erwerben, zu einem günstigen Preis. Nun plante er,
dieseSammlung seinerseits zu erweitern durch allerlei
Neuerwerbungen, die biologisch möglichst originell
sein sollten. Fürs erste beauftragte er einen Künstler,
entsprechende Entwürfe zu machen. Darüber verstarb der
Kaufmann, und der Künstler mußte versuchen, eine andere
Verwendung zu finden für das, was er entworfen hatte …
Aber vielleicht fällt Ihnen auch eine viel bessere Erklärung
ein, womöglich gar mehrere. Und wenn nicht, betrachten
Sie das Bild ganz einfach mit geschlossenen Augen. – Man
weiß, daß Zikaden singen. Aber niemand weiß, was sie
singen. Vielleicht hören Sie zunächst Zikadengesang. Und
dann verstehen Sie ihn sogar. Ganz plötzlich. Wort für Wort.
Das wäre dann ein weiterer Beleg dafür, wie poetisch die
Welt sein kann, wenn man vor ihr nur gehörig die Augen
verschließt.
Als der Kaiser nicht weiterwußte
Historienbild.
Öl/Leinwand, 70 x 90
Wir sehen den Kaiser mit einigen anderen grauen Gestalten
unter einer Decke stecken. Vom linken Bildrand her ist eine
Delegation eingetroffen. Ihr Wortführer redet in einer
fremdländischen Sprache. Niemand versteht sie. Auch die
beiden Minister rechts neben dem Kaiser nicht. Der eine
blickt starr ins Leere. Der andere schaut, ob nicht irgendwo
außerhalb des Bildes ein Dolmetscher aufgetrieben werden
kann.
Den Kaiser jedoch bewegt nur eine Frage: Was verbirgt der
Wortführer unter seinem glänzenden Mantel? Vielleicht ein
Gastgeschenk? Ein neues Szepter? Das alte ist schon
ziemlich kurz geworden. Der Kaiser pflegt darauf
herumzukauen, wenn es um schwierige Staatsgeschäfte
geht. Er befiehlt: Zeig endlich her! Der Angesprochene
versteht nicht. Eine für alle ausweglose Situation …
Die ganze Szene spielt in der Epoche des allmählichen
Übergangs vom Schwarzweiß zur lokalen Farbigkeit. Das
wirft ein interessantes Licht auf die historische Rolle jeder
einzelnen Figur sowie auf den geschichtlichen
Gesamtprozeß. Einige Personendarstellungen sind noch
nicht sicher gedeutet. So die Augurengruppe rechts oben
und die Knabengestalt über dem Saum des
Göttinnenkleides.
Neuere Untersuchungen haben zudem ergeben, daß auch
der Bildtitel nicht als der originale angesehen werden kann.
Er entstand eher zufällig. Ein Transportarbeiter trug das
Gemälde in einen Ausstellungsraum, fand den
vorgesehenen Hängeplatz nicht und rief: Jetzt weiß ich nicht
weiter! – Um ihn zu hänseln, gaben seine Kollegen dem Bild
dann den überlieferten Titel, denn dieser Kollege war ein
gewisser H.J. Kaiser.
Tischlein deck dich
oder
Wirtschaftspolitische Grundthese
oder
Plenus Venter
oder
Repräsentatives Querformat
Öl/Leinwand, 70 x 90
Wenn Sie Lust haben, noch weitere Titel zu erfinden,
bittesehr! Sie sehen ja, dieses scheinbar so eindeutige Sujet
erweist sich als eindeutig mehr-eindeutig.
Unter der Wirkung Ihres Titels würde es sich erneut
verändern: Das Bild als Sinnträger erführe einen weiteren
spontanen Sinneswandel. Und Sie könnten gelassen
dabeistehen und sehn, was Sie angerichtet haben.
Im übrigen brächten Sie dergestalt ein Naturgesetz zur
Wirkung, auf Grund dessen es überhaupt möglich ist, für die
verschiedenartigsten, selbst die entlegensten Zwecke
Denkmäler zu schaffen. Gelegentlich werden Sie dafür
weitere Beispiele finden.